📖 Buch Rezension & Kritik Nachbarn -

Rezension vom 22.05.2024

Fundstück 2024: Diane Olivers Storys

Nachbarn Diane Oliver

Diane Olivers Kurzgeschichtenband Nachbarn kann als Fundstück des Jahres 2024 gelten. Denn acht der insgesamt vierzehn Erzählungen wurden im Nachlass der afroamerikanischen Autorin gefunden und weltweit das erste Mal veröffentlicht.

In den Geschichten geht es um das Leben schwarzer Frauen in unterschiedlichen Altersstufen im Amerika der 60er Jahre. Es ist die Zeit der Bürgerrechtsbewegungen, in der die Segregation per Gesetz aufgehoben ist und die ersten schwarzen Kinder und Studierenden auf bis dahin Weißen vorbehaltenen Schulen bzw. Universitäten gehen können. So auch von Diane Oliver in ihrer bekanntesten Geschichte Nachbarn beschrieben. Aus der Perspektive der großen Schwester Ellie schildert sie den Tag vor dem ersten Schultag des kleinen Bruders: den Polizeischutz, den Anschlag auf das Haus und die Entscheidung der Eltern, ob sie ihren Sohn zur Schule schicken oder nicht.

In zwei anderen Geschichte lernen wir die alleinerziehende Mutter Libby kennen, die das stundenlange Warten beim Arzt mit vier kleinen Kindern managt, die Hunger haben, spielen wollen, auf Toilette müssen, nur um dann weggeschickt zu werden, weil die Ärzte früher Feierabend machen. Und als in der zweiten “Libby”-Erzählung Stau ihr verschwundener Ehemann wieder auftaucht und ihr stolz sein Auto präsentiert, schweigt sie, auch wenn sie an das kaputte Haus und die noch nicht bezahlte Krankenhausrechnung denkt. Denn sie wusste, “wenn sie ihn haben wollte, musste sie auch das Auto nehmen.”

Im Story Band Nachbarn finden sich aber auch Geschichten losgelöst vom historischen Kontext, wie Gefrorene Stimmen - ein experimentelles Eifersuchtsdrama. In den sich wiederholenden Stimmen setzt sich nach und nach das Drama rund um den Tod einer Frau namens Jenny zusammen.

Diane Olivers Erzählungen enthalten eine große Spannweite an Figuren und Situationen. Und ich bin sehr beeindruckt davon, aus welchem Erfahrungsschatz heraus Diane Oliver in so jungen Jahren geschöpft hat, ist sie doch bereits mit 22 Jahren als Beifahrerin bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.

Besonders finde ich, dass ihre Protagonisten keine Opfer sind, sondern Menschen, die ihren Weg gehen und ihr Leben meistern.

Nachbarn möchte ich allen ans Herz legen, die 2024 über den Fund des Jahres mitreden wollen.

Vielen Dank an den Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar.

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Rezension - besprochenes Buch

Titel: Nachbarn
Belletristik
304 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag
Erscheinungsjahr:
ISBN: 978-3-351-04224-0

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